Interview mit Andreas Strunz, Director Change & Transformation, msgGillardonBSM AG und
Andreas Mach, Lead Executive Partner / Head of Business Consulting, msgGillardonBSM AG
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ziele von Change Management-Projekten, und hat sich die Gewichtung in den letzten Jahren geändert?
Change Management muss einen effektiven und messbaren Beitrag zu den Entwicklungs- und Transformationsprozessen in Unternehmen leisten. Dazu muss es im Top Management verankert sein und vorgelebt werden. Die Herangehensweise an Konzeption, Initialisierung und Umsetzung von CM-Projekten haben sich wenig verändert. Doch das Management von Veränderungsprozessen ist als permanente Aufgabe im Unternehmen zu verstehen, die langfristig ausgerichtet ist und Orientierung bietet. Dazu zählt die Fähigkeit, auf kurzfristige Änderungen der Eingangsparameter für Change-Prozesse angemessen zu reagieren. Dieser Aspekt ist in den vergangenen Jahren viel wichtiger geworden, weil sich Frequenz und Ausmaß disruptiver Einflüsse auf Unternehmen, insbesondere bei Banken und Finanzdienstleistern, deutlich erhöht haben.
Welche disruptiven Einflüsse sind das zum Beispiel?
Wir sehen grundlegende Paradigmenwechsel, die vor einigen Jahren undenkbar waren, z.B. Negativzinsen, die Nichteinhaltung internationaler Verträge zur Staatsverschuldung, Krieg in Europa und Cyberattacken. Dadurch wird den Unternehmen und ihren Mitarbeitenden mehr Flexibilität abverlangt. Auch Disruptionen, die bisherige Geschäftsmodelle infrage stellen können, müssen frühzeitig erkannt und verarbeitet werden, z.B. aufstrebende FinTechs, steigender Kostendruck, Technologien wie Künstliche Intelligenz, Distributed Ledger und Tokenisierung oder regulatorische Neuerungen wie die Zahlungsdiensterichtlinie PSD2. Wie in anderen Branchen sehen wir auch den durch COVID-19 forcierten Shift hin zu New-Work-Arbeitsmodellen, wie z.B. hybride Meetings oder verstärkte Homeoffice-Einsätze, was Umdenken in der Arbeitsorganisation erfordert.
In welchen Themenbereichen sehen Sie aktuell den größten Change-Bedarf?
Ein zentraler Bereich ist Kultur und Kommunikation. Banking ist eine eher konservative Branche, die sich mit der Adaption disruptiver Einflüsse bisweilen schwertut. Diejenigen Institute, die das Ausmaß der branchenweiten Veränderungen erkennen und verarbeiten, werden mittelfristig am Markt bestehen. Die bi-direktionale Kommunikation mit den Mitarbeitenden, z.B. hinsichtlich New Work-Ansätzen, erleben wir als essenzielle Basis für erfolgreiches Change Management. Dasselbe gilt für die Kommunikation mit Kunden, denn deren Präferenzen sind ein wesentlicher Treiber erfolgreicher Veränderungen.
Auch bei Strategie und Entscheidungsprozessen steht ein Umdenken an. Die Zinswende der Zentralbanken stellt viele Banken und Finanzdienstleister vor große Herausforderungen. Häufig fehlen die erforderlichen Margen und Gewinne, um Transformation aktiv voranzutreiben, speziell für Investitionen in Technologie. Darum werden strategisch erforderliche, mitunter unpopuläre Maßnahmen ergriffen, wie z.B. die Einführung neuer Gebührenmodelle, Kostensenkungsprogramme oder Fusionen. Auch Nachhaltigkeit ist eine Dimension, welche Strategien und Entscheidungen zunehmend beeinflusst. Viele Change-Prozesse, die auf Nachhaltigkeit abzielen, sind bereits eingeleitet. Die Marktteilnehmer sind dabei unterschiedlich weit. In Zukunft werden wir hier noch einige Veränderungen sehen.
Was bedeutet das für die Aufbau- und Ablauforganisation, inwiefern ist diese von diesen Entwicklungen betroffen?
Wir stehen vor großen Umbrüchen. Im Banking wird die Aufbauorganisation stark durch regulatorische Anforderungen bestimmt. Viele Änderungen werden von außen vorgegeben, z.B. neue Regelungen zur Vermeidung von Geldwäsche und Finanzkriminalität oder auch zur Durchsetzung von Nachhaltigkeit. Diese wirken sich direkt auf den Aufbau aus. Zudem führen zuvor genannte Kostensenkungsprogramme häufig zur Auslagerung von Aktivitäten, um in der eigenen Organisation Ressourcen zu reduzieren.
Bei den Abläufen sind neue Technologien und speziell die Digitalisierung die großen Treiber von Veränderungen. Sie ermöglichen es, Prozesse kundenorientierter zu gestalten und zu automatisieren, Zahlungsverkehr in Echtzeit zu realisieren und mobil zu bezahlen. Digitalisierung ist der Grund dafür, dass die Begriffe „Bank“ und „Banking“ heute nicht mehr gleichgesetzt werden. Heute können Finanzdienstleistungen rund um die Uhr fast überall genutzt werden, ohne eine Filiale zu besuchen. Das ändert die Geschäftsmodelle und die technische Aufstellung vieler Banken grundlegend.
Welche Herausforderungen kommen damit auf die Mitarbeitenden und die Personalverantwortlichen zu?
Angesichts der zunehmenden Industrialisierung und Technologisierung des Bankings entstehen neue Anforderungen an Berufsbilder und Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Vor allem digitale Kompetenzen sind hier nennen, z.B. das Beherrschen neuer Vertriebskanäle wie Videoberatung oder Embedded Banking. Zudem sind viele bankinterne Disziplinen komplexer geworden, etwa durch erhöhte regulatorische Anforderungen. Das erfordert eine zunehmende Spezialisierung, um die Materie zu beherrschen, und gleichzeitig eine stärkere Koordination der einzelnen Disziplinen im Hinblick auf den Gesamterfolg des Unternehmens. Die Fähigkeit, sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen, und dabei nicht jedem Trend hinterherzulaufen, gewinnt an Bedeutung. Das sind grundlegende Erkenntnisse, denn im Banking fehlen zunehmend Fachkräfte.
In diesem Kontext spielen auch unterschiedliche Generationen eine wichtige Rolle. Wir beobachten, dass sich Sozialisierung und Wertesysteme einzelner Generationen voneinander unterschieden können, zwar nicht archetypisch, doch tendenziell. So wurden die Baby Boomer noch mit dem Gedanken der Leistung bzw. der Vorleistung sozialisiert, während für die jüngere Generation Z typischerweise Sinnhaftigkeit, Team Work und Work-Life-Balance eine größere Rolle spielen. Auch darauf müssen sich Banken und Finanzdienstleister vorbereiten.
Was sind für Sie wichtige Erfolgsfaktoren oder auch Erfolgsbremsen in Change-Prozessen?
Zielgerichtete Entwicklung und Transformation funktionieren nur, wenn das Top-Management sowie erste und zweite Führungsebene ihre Vorbildfunktion erfüllen und gemeinsam für den Wandel eintreten. Man muss klar und zielgerichtet mit Mitarbeitenden, Kunden und anderen Stakeholdern kommunizieren. Authentizität ist wichtig. Unternehmen agieren heute zunehmend im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, insbesondere in den sozialen Medien. Versuchtes „Greenwashing“ kann zu einem massiven Reputationsschaden führen. Zudem ist es wichtig, Veränderung mit Stabilität und Kontinuität auszubalancieren. Die wesentlichen Rollen sollte man mit erfahrenen Managern und Managerinnen besetzen, die eine hohe Glaubwürdigkeit besitzen, die Bedenken von Mitarbeitenden ausräumen und Konflikte lösen können.
Fatal ist dagegen, wenn die Verantwortlichen denken, dass man alles so machen könne wie bisher, oder dass sich alle verändern müssten, nur man selbst nicht. Man muss verstehen, was „Change“ und „Transformation“, nicht zuletzt für die eigene Person, bedeuten. Auch mangelhafte Analysen der externen und internen Einflussfaktoren auf den Veränderungsbedarf sowie falsche Schlussfolgerungen sind typische Erfolgsbremsen, ebenso wie kopfloses und kurzfristiges Agieren. Stattdessen gilt es, klare Rahmenbedingungen für den Change-Prozess zu setzen, und die Koordinaten laufend auf Richtigkeit und Effizienz zu überprüfen.
Welche Rolle spielen eine gemeinsame Vision und eine starke Unternehmenskultur für den erfolgreichen Wandel?
Das sind entscheidende Instrumente. Mitarbeitende suchen Orientierung in gewachsener und wachsender Firmenkultur. Die Identifikation mit Werten wie z.B. Kooperation, No-Blaming Culture, Fehlertoleranz oder „Mensch im Mittelpunkt“ ist umso stärker, je mehr diese mit den Unternehmenszielen und mit der gelebten Praxis im Einklang stehen. So entstehen eine gemeinsame Basis und Vertrauen. Sind es hingegen keine echten Werte, sondern Lippenbekenntnisse, die nicht vorgelebt werden, bewirken sie das Gegenteil. Zu beachten ist auch, dass Begriffe wie „Vision“ und „Mission“ definiert und inhaltlich voneinander abgegrenzt sein müssen. Ansonsten sind sie für die Adressaten schwer verständlich, was sich negativ auf die Umsetzung auswirkt.
Gehen Sie bei Projekten fallspezifisch vor, oder gibt es eine übergeordnete Methodik, der Sie grundsätzlich folgen?
Die Vorgehensweise ist immer abhängig vom jeweiligen Projekt, insbesondere davon, welche Bereiche in einem Unternehmen betroffen sind. Entsprechend variieren auch die Rollen, die wir einnehmen, von moderierend bis beratend. Als Grundlage für die Konzeption von Change Management-Prozessen können gedankliche Modelle und die Abwägung unterschiedlicher Implementierungsmethoden hilfreich sein, wie z.B. Technologieakzeptanzmodelle oder Value Stream Mapping.
Denken Sie, dass die Erfolgsaussichten von Change-Projekten in den vergangenen Jahren eher gesunken oder gestiegen sind?
Das kommt auf den Standpunkt und die grundlegende Haltung zu Change und Transformation an. Change-Projekte können gravierende Probleme lösen und riesiges Potential heben, insbesondere angesichts der dramatischen Veränderungen im Markt. Wenn jedoch Veränderung als Managementkonzept grundsätzlich nicht akzeptiert wird, sind die Erfolgsaussichten gering. Die sogenannten „weichen Faktoren“ werden tendenziell immer noch gegenüber „harten Faktoren“ unterschätzt. Seit Jahren steigen beispielsweise die Fehlzeiten durch psychische und psychosomatische Erkrankungen stark an. Aufgeschlossene Unternehmen begegnen dem, indem sie Maßnahmen im betrieblichen Gesundheitsmanagement verankern. Diese Unternehmen haben geringere Fehlzeiten. Andere Unternehmen nehmen das Problem nicht ernst und haben entsprechende Nachteile.
Welche Skills und Eigenschaften sollte ein Change-Verantwortlicher heute mitbringen?
Generell braucht ein guter Change Manager die Fähigkeit, zuzuhören und das Gehörte in der Konzeption zu berücksichtigen. Wichtig ist insbesondere, einzelne Strömungen im Unternehmen aufzunehmen, zu bewerten und gemeinsam mit dem Management in ein klares Bild der zukünftigen Entwicklung zu übersetzen. Dafür benötigt man eine gewisse Vorstellungskraft. Zudem sollte man Menschen motivieren und auch überzeugen können. Moderations- und Workshop-Erfahrung können hier sehr hilfreich sein. Ein weitere Schlüsselkompetenz ist die Fähigkeit zur Selbstreflektion. Und schließlich helfen klassische Projektmanagement-Skills wie das Aufstellen und Arbeiten nach Zeit- und Meilensteinplänen.
Im Interview
Andreas Mach
Andreas Strunz
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"Die bi-direktionale Kommunikation mit den Mitarbeitenden erleben wir als essenzielle Basis für erfolgreiches Change Management."
"Die Fähigkeit, sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen, und dabei nicht jedem Trend hinterherzulaufen, gewinnt an Bedeutung."
"Fatal ist dagegen, wenn die Verantwortlichen denken, dass sich alle verändern müssten, nur man selbst nicht."
"Wenn jedoch Veränderung als Managementkonzept grundsätzlich nicht akzeptiert wird, sind die Erfolgsaussichten gering."
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