Herr Hanken, warum ist Transfer Pricing relevant und warum ist es mehr als ein betriebswirtschaftliches Nischenthema?
Transfer Pricing ist ein anderes Wort für Verrechnungspreise. Diese braucht man für sämtliche Verrechnungen von Gütern und Dienstleistungen in einem Konzern, zum Beispiel wenn man konzernintern ein Vorprodukt aus einem deutschen Werk an eine Vertriebsgesellschaft in Singapur verkauft. Man kann davon ausgehen, dass bei Konzernen durchschnittlich ca. die Hälfte des Außenumsatzes intern verrechnet wird. Manche Studien besagen sogar, dass 60 Prozent des Welthandels konzernintern laufen. Das sind riesige Volumina mit enormem wirtschaftlichem Hebel. Wenn die Preise nicht stimmen, gibt es massive Gewinnverschiebungen.
Verkauft man ein Produkt aus Deutschland an den Vertrieb in der Schweiz, macht es einen Unterschied, ob man es mit 100 oder 200 Euro verrechnet. Setzt man 100 Euro an, entstehen in der Schweiz 100 Euro Mehrgewinn als bei einem Verrechnungspreis von 200 Euro, mit entsprechenden positiven Cash-Auswirkungen auf Steuern und Zölle. Auf Konzernebene geht es somit häufig um Risiken und Chancen im ein- bis dreistelligen Millionenbereich. Steuern sind ein ernstes Thema. Hier kann man sich vielleicht einmal einen Fehler erlauben, aber wenn Konzerne wiederkehrend Verrechnungspreise fakturieren, die nicht „tax compliant“ sind, dann wird es kritisch. Darum ist es wichtig, Transfer Pricing im Griff zu haben.
Wo setzen Sie an?
Durch intelligentes Data Cleaning und Data Management, durch Transparenz der Werteflüsse, Margenallokationen und von Transfer-Pricing-Logiken lässt sich Komplexität reduzieren. Wir bieten eine hochgradig automatisierte, zentrale Lösung, die Excel und alle manuellen Prozesse ablöst. So können Kunden im Zeitablauf und unter dynamischen Bedingungen konzernweit Verrechnungsströme visualisieren, segmentieren, YTD- und Forecast-Margen überwachen, Preise berechnen und in das ERP-System zurückspielen. Sie können Verhandlungsworkflows darstellen, Dashboards erstellen und erhalten konzernübergreifende, weltweite Konsistenz und Transparenz. Und so ergeben sich auch neue Möglichkeiten, Cashflows zu heben. Typischerweise übersteigt der zusätzliche Cashflow, den unsere Lösung generiert, die Investition bereits im ersten Jahr um ein Vielfaches.
Welche Unternehmen betrifft das und gibt es aktuell besonderen Handlungsbedarf?
Das ist relevant für alle produzierenden Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind. Typische Branchen sind Chemie, Pharma, Automobil, Konsumgüter, Metallindustrie und Landwirtschaft. Je größer und komplexer das Unternehmen, desto wichtiger ist Transfer Pricing. Es ist ein zunehmend heißes Thema. Die Betriebsprüfungen werden aggressiver, die Finanzverwaltungen prüfen mehr, tiefer und öfter. Es geht um Gewinnverschiebungen und Steuersatzgefälle, im Zweifelsfall um Nachzahlungszinsen und Strafzuschläge. Auch die OECD hat die Bedeutung der Verrechnungspreise vor Jahrzehnten erkannt und übt immer mehr Druck aus, gewisse Standards und Methoden einzuhalten. Ein aktueller und radikaler Vorschlag der OECD („Pillar 1“) sieht beispielsweise vor, dass Konzerne Gewinne auch noch in den Ländern versteuern müssen, in denen die Kunden sitzen (unabhängig davon, ob dort eine Tochtergesellschaft oder eine Betriebsstätte unterhalten wird). Regulatorik und Komplexität nehmen zu. Zudem haben Konzerne Kostendruck und suchen nach Möglichkeiten, zusätzlichen Cashflow zu heben. Dieses Thema wird auch in den nächsten Jahren eindeutig sehr bedeutsam bleiben.
Könnten Sie eine typische Situation nennen, bei der Ihr Team ins Spiel kommt, und wie Sie dann einen Beitrag zur digitalen Transformation leisten?
Oft erleben wir steuerliche Betriebsprüfungen, bei denen die Finanzverwaltung „fremdunübliche“ Verrechnungspreise und Margenverteilungen angreift und umfangreiche Detailfragen zu Faktura-Volumen, Margen und angewendeten Verrechnungspreismethoden stellt. Und dies für Zeiträume, die derzeit im Durchschnitt ca. drei bis sieben Jahre zurückliegen. Aufgrund von Veränderungen in ERP-Systemen und Datenstrukturen, von Preiskalkulationen in diversen individuellen Excel-Dateien und von Mitarbeiterfluktuation ist es regelmäßig äußerst schwierig, die tatsächlichen damaligen Verhältnisse im Detail erklären zu können. Und oft sind eben auch die gebildeten Verrechnungspreise und Margenverteilungen mangels konsistenter und steuerlich fremdüblicher Kalkulationslogiken nicht „tax compliant“. So dauern solche Betriebsprüfungen mehrere Jahre. Dann stehen erhebliche Korrekturen und Doppelbesteuerungen im Raum. Durch Automatisierung können wir das Risiko im Hinblick auf steuerrechtliche Anforderungen erheblich minimieren und auch Betriebsprüfungen deutlich beschleunigen.
Andere Firmen kontaktieren uns schon vorher, weil sie das große Potenzial sehen. Deren CFOs wollen aktiv Steuern und Zölle optimieren, Prozesse digitalisieren und Personal effizienter einsetzen. Sie wollen die Organisation schlanker und schneller machen, höhere Datenqualität bekommen und Cashflow heben. Dann schaut man, welchen Beitrag die einzelnen Abteilungen leisten können. Unser Einsatzschwerpunkt liegt an der Schnittstelle der Steuer-Abteilung, die die steuerlichen Ziele vorgibt, und der Controlling-Abteilung, die in der Regel das operative Verrechnungspreismanagement konzernintern umsetzt. Manche Konzerne haben heute Shared-Service-Center, in denen Leute die unliebsame manuelle Arbeit machen. Das sind Übergangslösungen. Nutzt man die Möglichkeiten einer hochgradigen Automatisierung, dann können wenige, aber sehr erfahrene Mitarbeitende im Headquarter mit dieser Lösung den weltweiten Verrechnungspreisprozess oft viel effizienter managen als mit vielen Mitarbeitenden in Shared-Service-Centern, die ja für hohe Fluktuation und damit auch hohen Know-how-Verlust bekannt sind.
In unseren Projekten erhalten Kunden die Prüf- und Validierungslogiken der weltweit besten Controller in einer weitgehend automatisierten Lösung. Die Qualität steigt dadurch dramatisch. Es bietet enorme Vorteile, all die bisherigen manuellen, zeitaufwendigen und oft unbefriedigenden Arbeitsschritte zu automatisieren, um den Menschen wieder mehr Freiraum für wertschöpfendere Tätigkeiten zurückzugeben.
Geht es in Ihrer Arbeit rein um Finanzen und Steuern oder gibt es auch Bezüge zu Themen wie etwa Nachhaltigkeit?
Das ist eine sehr spannende Frage, die mich in letzter Zeit immer mehr beschäftigt. Bei dem Thema Nachhaltigkeit geht es ja unter anderem auch um die Frage, wie denn die weltweiten Lieferketten ausgestaltet sind und welchen ökologischen Fußabdruck ein Unternehmen hinterlässt. Wie eingangs gesagt, finden etwa 60 Prozent der weltweiten Lieferungen innerhalb von Konzernen statt. Insofern kommt natürlich unserem Themenbereich Verrechnungspreise und unserer Softwarelösung eine große Bedeutung zu. Wir können in unserer Lösung bereits heute sämtliche Lieferströme auf Artikelebene – von den Produktionswerken über Distribution Hubs und Vertriebsgesellschaften bis hin zum Endkunden – transparent machen. Diese teilweise komplexen konzerninternen Lieferketten auf Knopfdruck visualisieren zu können ist eine Fähigkeit, die viele Konzerne heute noch nicht haben und die CFOs und andere Stakeholder stark nachfragen. Insofern könnten wir auch unseren Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, indem wir unsere Lieferkettendaten mit bestimmten im Unternehmen vorhandenen Nachhaltigkeitsmerkmalen verknüpfen.
Das klingt nach transformativem Potenzial.
Ja, wir sehen derzeit eine starke Anpassung der Supply Chains an die sich verändernden Bedingungen. Hier ergibt sich immer hohes Gestaltungspotenzial mit Blick auf die Reduzierung von Lieferantenabhängigkeiten, die Erschließung neuer Märkte, die Optimierung von Logistikkosten sowie die Reduzierung von Steuer- und Zollbelastungen etc. Dafür braucht man Leute, die diese Themen verstehen und zusammenbringen.
Ist das Potenzial des Transfer Pricings bald ausgereizt? Wird es komplett automatisiert oder bleibt der Bedarf für Beratung und Individualisierung bestehen?
Das ist ein wichtiger Punkt, denn es geht darum, die Dynamik des Weltgeschehens und die Auswirkungen auf das Business zu managen. Deshalb ist Optravis anders aufgestellt als manche Wettbewerber, die reine Softwarefirmen sind. Zum einen haben wir das Fachwissen. Bei uns arbeiten erfahrene Industrie-Controller und Steuerberater, die sich mit „Order to Cash“- und „Purchase to Pay“-Prozessen sowie den täglichen operativen Controlling-Herausforderungen, steuerlichen Themen und ERP-Systemen auskennen. Zum anderen haben wir unsere Technologie. Unsere High-End-Software ist nach höchsten Standards programmiert, unter anderem mit sehr performanten selbst entwickelten Graph-Datenbanken und einer sehr sicheren Zero-Knowledge-Cloud-Umgebung.
Zudem bieten wir im Rahmen unseres Services nicht nur die Lizenz, sondern ein „Software as a Service“-Arrangement. Der Hintergrund ist, dass sich Stammdaten immer wieder ändern und gepflegt werden müssen. Wir prüfen die Daten, validieren, stellen Lücken fest und lösen die Probleme. Und wir bringen unsere jahrelange Industrieerfahrung im Bereich Operational Transfer Pricing ein, um Kunden laufend mit Best Practice zu helfen. Dieser Service ist entscheidend dafür, dass das System nicht nur zum Zeitpunkt der Implementierung läuft, sondern immer.
Arbeiten Sie mit einer Standardsoftware oder passen Sie diese an industrie- beziehungsweise unternehmensspezifische Prozesse an?
Der Kern unserer Software ist bei allen Kunden identisch. Die Tools passen wir jedoch individuell, teilweise sehr stark an – und zwar weniger für einzelne Branchen, sondern für jeden einzelnen Kunden. Es geht darum, kundenspezifische Business- und Steuerungslogiken, Forecast-Strategien und Verrechnungspreismethoden wie zum Beispiel die Cost-Plus-, Wiederverkaufspreis-, Nettomargen- oder Profit-Split-Methode abzubilden. Diese Implementierungsphase dauert, je nach Divisions- oder Konzerngröße, zwischen vier und neun Monate. Durch dieses Customizing lassen sich die individuellen Probleme der Kunden wirklich lösen.
Im Interview
"Durch intelligentes Data Cleaning lässt sich Komplexität reduzieren"
"Die Betriebsprüfungen werden aggressiver"
"Es bietet enorme Vorteile, den Menschen wieder mehr Freiraum zurückzugeben"
"Konzerninternen Lieferketten auf Knopfdruck visualisieren zu können ist eine Fähigkeit, die viele Konzerne heute noch nicht haben“
"Es geht darum, die Dynamik des Weltgeschehens und die Auswirkungen auf das Business zu managen“
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Jörg Hanken
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