Herr Redenius, lassen sich die wichtigsten Herausforderungen, mit denen die Entscheider in den Unternehmen heute konfrontiert sind, auf einen Nenner bringen?
Es sind – bei allen branchen- und strukturspezifischen Unterschieden – drei Aspekte besonders wichtig. Zum einen geht es darum, die nächsten Wochen wirtschaftlich zu überstehen. Das verlangt den Verantwortungsträgern sehr viel ab, weil es aus den letzten Jahrzehnten keine vergleichbaren Beispiele gibt und weil wirklich jeder Bereich unseres Lebens betroffen ist. Gerade deswegen dürfen wir nicht übersteuern. Natürlich muss man sich stark auf die krisenrelevanten Aspekte fokussieren, darf dabei aber eines nicht vergessen: Es gab eine Welt davor und es wird eine Welt danach geben. Und diese Welten werden sich inhaltlich nicht radikal unterscheiden.
Deshalb muss man auch weiterhin die eigentlichen Wertschöpfungsthemen im Blick behalten, wenn man danach wettbewerbsfähig bleiben will. Und schließlich gilt es gerade jetzt Vertrauen, Zuversicht und soweit wie möglich Stabilität nach innen zu vermitteln.
Zeigt sich darin das Spannungsverhältnis zwischen Management und Leadership? Was ist aktuell aus Ihrer Sicht stärker gefordert?
Die klassischen Managementmethoden kommen momentan an ihre Grenzen, weil wir mit einem Phänomen umgehen müssen, das uns massiv überrascht hat und dessen Dynamik sich kaum prognostizieren lässt. Es wäre jetzt genau der falsche Reflex, den Managementfokus schnell enger zu ziehen, immer stärker aus Controlling-Perspektive zu agieren. Das schürt die Angst, überfordert die Menschen und demotiviert die Organisation. Ich glaube, dass Unternehmen im Vorteil sind, die es verstehen, ihre Kultur zu schützen, ihre Mannschaft jetzt so zu führen, dass Vertrauen da ist, die sozusagen positiv nach vorn denken. Wir brauchen jetzt starkes Leadership, da dies die Kräfte einer Organisation besser hervorbringt als das Hochdrehen von Controlling-Mechanismen.
Hat diese Forderung auch mit unterschiedlichen Entscheidungsmustern zu tun? Wo rein datenbasiert entschieden wird, ist das nicht Eindeutige und Quantifizierbare ausgeblendet – also das, was echte Führung erfordert. Ist Leadership zu einem Lippenbekenntnis geworden, weil man sich zu stark auf dieses digitale, datenbasierte Entscheiden fokussiert hat?
Man sollte die beiden Logiken nicht gegeneinander ausspielen. Das binäre Schema sortiert Ambiguitäten, Ambivalenzen, die unstrukturierten Themen ein Stück weit aus und sucht nach festen Regeln und Transparenz. Das brauchen wir allerdings auch, denn die Komplexität und Dynamik unseres Wirtschaftssystems sind sonst nicht beherrschbar. Allerdings leben gute Führungsteams davon, dass sie auf der einen Seite die, ich sage mal, zahlenorientierten Menschen haben. Auf der anderen Seite aber auch die, die visionär nach vorne gehen, Leadership ausstrahlen, für Identifikation sorgen.
Zudem glaube ich, Erfolg basiert darauf, dass man es versteht, diese beiden Perspektiven miteinander zu verknüpfen und auch situationsbedingt unterschiedlich zu dosieren. Also die richtigen Themen und Führungspersönlichkeiten zur richtigen Zeit nach vorn zu stellen.
Aktuell haben wir eine Flut an Daten und andererseits große Zweifel an deren Aussage- und Prognosewert. Fliegen wir nun auf Sicht?
Ein Stück weit müssen wir auf Sicht fliegen. Wir können die Daten aber nutzen, um ein möglichst valides Bild über den Nah-, vielleicht auch den Mittelfristbereich zu gewinnen. Das ist auch der Zeithorizont, in dem man jetzt aktiv und teilweise deutlich anders als vor der Krise steuern und gestalten muss.
Die Digitalisierung wird in dieser Krise also ihrem Versprechen gerecht?
Ich nehme das eindeutig so wahr. Es ist in der aktuellen Situation wichtig, schnell Transparenz zu schaffen und möglichst gute operative Entscheidungen zu treffen. Dabei helfen die Daten und die Strukturen, die man mit der Digitalisierung und auch der Automatisierung von Organisation und Prozessen aufgebaut hat, definitiv weiter.
Unternehmen, die das in den letzten Jahren nicht forciert haben, geraten jetzt in problematische Situationen. Wir sehen das auch in unserem eigenen Unternehmen. Hätten wir nicht eine gesunde Datenbasis, dann würde uns für die wichtigen Entscheidungen im Nahbereich ein wesentliches Managementinstrument fehlen.
Ein weiteres Managementinstrument waren in den vergangenen Jahren die Best Practices. Macht eine so extreme Disruption wie eine global Pandemie Best Practices irrelevant?
Es ging auch vor der Pandemie nie darum, Best Practices blind zu kopieren, sondern sie zu durchleuchten und den möglichen Effekt auf die eigene Organisation zu durchdenken. Das gilt jetzt eben auch für die Wirkung in der Krise – und darauf basierend Schlüsse zu ziehen. Ich glaube, die Intelligenz im Management besteht darin, die Wirkungsweise der Best Practices zu verstehen. Dann kann man diese entweder gezielt an das eigene Unternehmen adaptieren, oder sich auch bewusst dagegen entscheiden. Die bewusste Auseinandersetzung mit den Besten ist immer von Vorteil, das ändert sich auch durch die Pandemie nicht.
Sie sprachen vorher davon, dass man der Angst, der Überforderung entgegenwirken muss. Wie lässt sich in der aktuellen Situation eine vernünftige Balance zwischen Rationalität und Emotionalität sicherstellen? Wie erhält man Strukturen und vermeidet Auflösungserscheinungen?
Jetzt ist es wichtig, zunächst rational an die Themen heran zu gehen, auf dieser Basis eine tragbare Vorentscheidung zu treffen, um dann genau die Frage nach der emotionalen Ebene zu stellen. Ich nenne mal ein Beispiel: Über ein Thema wie Kurzarbeit muss man rational entscheiden, um vielleicht irreparablen Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Auf der anderen Seite ist das Thema hoch emotional und betrifft auch den Kern der Kultur. Diese Ebene muss Bestandteil einer Entscheidung sein. Man muss sich fragen, ob diese Entscheidung dem Stand hält, was man als Wertegerüst propagiert, die Wirkmechanismen verstehen. Und dann die Entscheidung behutsam justieren. Denn sonst verspielt man Vertrauen oder zerstört die wirtschaftliche Basis – beides geht nicht. Wichtig ist aus meiner Sicht die Abfolge. Was uns wieder zu dem Zusammenspiel zwischen Management und Leadership bringt.
Welche Fehler sind also aus der Leadership-Perspektive unbedingt zu vermeiden?
Man muss unbedingt vermeiden, im Hinblick auf heutige und künftige Mitarbeiter eine Vollbremsung hinzulegen. Die Versuchung – von den Zahlen und den düsteren Prognosen herkommend – ist ja für viele da. Aber das ist ein Kardinalfehler. Es ist einerseits eine Kulturfrage – andererseits werden wir in ein paar Monaten möglicherweise sogar höhere Wachstumskurven sehen, als wir sie bei einem normalen weiteren Verlauf gesehen hätten. Man sollte deshalb nicht versuchen, die Kostenbremse jetzt so effizient und hart wie möglich anzuziehen, sondern die Zukunft mitdenken, egal wie schwierig das gerade ist. Ich kann aus der Perspektive der msg sagen: Wir haben fast immer erlebt, dass Krisenjahre die Initialjahre für weiteres Wachstum waren. Das erhoffen wir auch jetzt und handeln entsprechend.
Im Interview
Karsten Redenius
"Die klassischen Managementmethoden kommen momentan an ihre Grenzen."
"Es ist in der aktuellen Situation wichtig, schnell Transparenz zu schaffen und möglichst gute operative Entscheidungen zu treffen."
"Man muss unbedingt vermeiden, im Hinblick auf heutige und künftige Mitarbeiter eine Vollbremsung hinzulegen. Die Versuchung ist ja für viele da. Aber das ist ein Kardinalfehler."
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Karsten Redenius
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