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„Stadtwerke werden einzigartige
Kundenerlebnisse schaffen.“

Local Heros: Mirco Pinske, CEO des Digitalisierungsexperten DIPKO und m3-Geschäftsführer Michael Dusch über kommunale Innovationen, die Entdeckung des Kunden und darüber, was Stadtwerke besser können als Tech-Giganten.

Herr Pinske, Herr Dusch, warum haben digitale kommunale Plattformen ein transformatives Potenzial?

Mirco Pinske: Weil sie den Stadtwerken erlauben, seit Jahrzehnten existierende Rahmenbedingungen erstmals tiefgreifend zu verändern. Was sind das für Rahmenbedingungen? Kommunale Versorger haben unterschiedliche Produkte: Nahverkehr, Energie, Wasser, Schwimmbäder, Parkhäuser oder sogar Flughäfen. Und jedes Produkt hat seine Kunden, seine Zahlungsläufe, seine Services. Die meisten dieser Kunden kennen die Stadtwerke gar nicht, etwa die Schwimmbad-, oder Parkhausbesucher. Diese sind vollkommen anonym. Über andere, etwa Energiekunden, wissen sie nicht viel mehr als verbrauchsbezogene Informationen. Die Frage, ob und wie jemand, der einen bestimmten Stromtarif bezieht, auch die Parkhäuser und Freizeit-, oder Kultureinrichtungen nutzt, kann de facto nicht beantwortet werden. Man kennt also die Kunden nicht – und weil man die Kunden, die Bürger, nicht kennt, lassen sich auch intelligente Produktbündel nicht gestalten. Zudem kann die Wettbewerbsdifferenzierung, gerade im Energiebereich, allein über den Preis, die Vertragslaufzeit und vielleicht noch einen Ökotarif erfolgen. Gegen neue Wettbewerber, die mit innovativen, einfachen Abschlussprozessen und Tarifen punkten, kann man so langfristig nicht bestehen.

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„Die Entwicklung und Gestaltung intelligenter Produktbündel setzt eine genaue Kundenkenntnis voraus.“

Eine Plattform, die alle kommunalen Leistungen integriert, die Kunden unterschiedlicher Produkte erstmals identifizierbar macht, bietet den Stadtwerken hervorragende Möglichkeiten zur Differenzierung, zur Entwicklung smarter Bündelprodukte und neuer Dienstleistungen. Sie schafft sinnvolle Kommunikationsanlässe mit den Bürgern und hilft dabei, ein vollständiges und differenziertes Bild des kommunalen Versorgers zu vermitteln.

DIPKO: Erfolgreiche Stadtwerke-Kooperation

Mit der DIPKO, der „Digitalen Plattform für kommunale Services“, wollen Sie den Kommunen helfen, genau diese Stärken des Querverbundes auszuspielen. Wie kann man sich die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Stadtwerke bei diesem Projekt vorstellen?

Mirco Pinske: Stadtwerke stehen, bedingt durch klare Konzessionsgebiete, selten im Wettbewerb zueinander. Umso sinnvoller ist es deshalb, wenn sie ihr intellektuelles Kapital und auch ihr Innovationskapital bündeln. Die Vision hinter DIPKO ist nicht, einfach digitale Tools bereitzustellen, sondern Wandel, Innovation und Digitalisierung in einem zukunftsgerichteten Prozess zu verbinden. Genauso ist DIPKO entstanden – aus der Zusammenarbeit von zahlreichen Stadtwerken, die die Idee einer gemeinsamen Plattform geteilt und mitgetragen haben. Wichtig ist, dass sich Partner herauskristallisieren, die strukturell eine gewisse Vergleichbarkeit haben und im weitesten Sinne die Vision und die Prioritäten teilen.

Wenn das gegeben ist, hat man gute Ausgangsbedingungen für Innovationen. Die Plattform definiert einen relativ offenen Rahmen, sie bündelt bestimmte zentrale Funktionalitäten. Und in diesem Rahmen lassen sich kreative Szenarien und Use Cases für Produkte und Leistungen erarbeiten, die auf die Vision eines intelligenten Querverbunds einzahlen und in den einzelnen Kommunen umgesetzt werden können.

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„Eine gute Plattformarchitektur nutzt die vorhandenen Hardware-Ressourcen – sie darf keinesfalls eine Einstiegshürde sein."

Michael Dusch: In dieser Phase ist auch entscheidend, eine Architektur zu definieren, die keine Einstiegshürde darstellt. Bedeutet, hohe Investitionen in Hardware sollten nicht notwendig sein und Standardgeräte sowie bestehende Systeme weiter genutzt werden. Zentrale Funktionen wie Payment, Single Sign-On, Identity Management, Datenspeicher, Kundenkommunikation, Vernetzung sollten das Grundgerüst der Plattform bilden. Und in diese einfache Struktur ließen sich einzelne Module, Services einklinken, die sich schnell entwickeln und anpassen ließen. Ein schnelles Tempo bei Einrichtung, Testing, Skalierung führt dazu, dass selbst Großstädte innerhalb von drei, vier Tagen mit dem Lösungsbetrieb starten können.

Welche Themenfelder, welche Module eignen sich besonders für den Start der Plattform?

Mirco Pinske: Elektromobilität, Personennahverkehr, Energie, Parken, Beleuchtung, Ticketing – zu diesen Themen haben wir zu Beginn des Projekts unterschiedliche Szenarien entwickelt und gemeinsam bewertet, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was besonders geeignet ist, um die Bürger überhaupt erst einmal in die neue digitale Welt der Stadtwerke hereinzuholen.

Ein sehr gutes Beispiel, das übrigens auch das transformative Potenzial der Vision illustriert, sind die Bäder. Hier haben die Stadtwerke hunderttausende Menschen als Kunden, die sie nicht kennen, die sie teils gar nicht als Kunden wahrnehmen, die anonym an sehr alten Kassenautomatensystemen ihr Papierticket ziehen. Daher setzten sich die teilnehmenden Stadtwerke auch das digitale Eintrittsmanagement als eines der ersten Sprintziele. Das war 2019, während der Pandemie waren die Teilnehmer dann mit dem neuen Produkt handlungsfähig.

Weitere Themen

Produktinnovation und Kundenbindung

Worin besteht das transformative Potenzial eines solchen Produkts, das über die Effizienzsteigerung hinausweist?

Mirco Pinske: Die wenigsten Stadtwerke werden heute als ganzheitlicher Lebensqualitätsanbieter mit einem großen Leistungsportfolio wahrgenommen. Diese Vielfalt ist nur darstellbar, wenn die einzelnen Produkte integrierbar sind, eine gemeinsame Basis haben – strukturell, technologisch, kommunikativ – und wenn man die unterschiedlichen Lebensaspekte seiner Kunden kennt. Heute ist es beispielsweise kaum möglich, ein Bündelprodukt aus Telekommunikation und Energie oder Vorteilsprogramme zu kreieren, die auf der Bereitstellung bestimmter Premiumleistungen basieren, etwa bestimmter Parkflächen in kommunalen Parkhäusern. Eine integrierte Perspektive auf das Produktportfolio und eine einheitliche digitale Plattform können hier zu einem radikalen Wandel in der Produktinnovation und Kundenbindung führen.

Lassen Sie mich das am Beispiel der Bäder zeigen. Eines der Stadtwerke, die bei DIPKO mitwirken, hat für seine Energiekunden ein Vorteilsprogramm aufgelegt und die Bädertickets bei einer Online-Buchung deutlich günstiger gemacht. Im Ergebnis ist die Anzahl neuer Energielieferungsverträge explodiert. Auf einmal werden anonyme, desintegrierte Assets wie Parkhäuser oder Freibäder zu strategischen Ressourcen in der Gestaltung vernetzter Produkte. Es entstehen Daten, die sich interpretieren und zur Optimierung der Produkte und Kundenbeziehungen nutzen lassen. Es entstehen Kommunikationsanlässe und Feedbackkanäle. Und nicht zuletzt verändern sich auch die Wahrnehmung und das Image der Stadtwerke.

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„Als ‚Local Hero‘ schaffen die Stadtwerke ein Erlebnis, das kein Tech-Gigant bieten kann.“

Michael Dusch: Das Radikale ist letztlich der Perspektivwechsel auf das eigene Wirken. Der einzigartige Mehrwert, den die Stadtwerke den Bürgern bieten können, muss erlebbar sein. Und er entsteht aus der Vernetzung der vielfältigen Aktivitäten und Assets der Stadtwerke. Die digitalen Funktionalitäten, die heute über kommunale Plattformen abbildbar sind, spielen dabei eine ganz wichtige Rolle. Ich kann mich als Bürger in meine Kommune einloggen und diese intelligent vernetzte Vielfalt erleben. Man muss deshalb strategisch und gedanklich weg von der reinen Preisdifferenzierung, der reinen Produktbetrachtung. Als ‚Local Hero‘ schaffen die Stadtwerke ein Erlebnis, das kein großer Player, auch kein Tech-Gigant bieten kann, von Nähe und Vertrauen ganz zu schweigen. Denn dafür stehen die Stadtwerke in einem hohen Maß. Und das hat auch einen immensen Einfluss auf deren Positionierung und Markenbildung.

Die technologische Komplexität ist dabei nicht der kritische Faktor?

Michael Dusch: Nein. Es gibt in unterschiedlichen Branchen zahlreiche Lösungen, die man adaptieren kann, die erprobt und bewährt sind. Kein Stadtwerk muss tief in die Technologie-Innovation einsteigen. Seien es integrierte Log-In-Systeme oder Payment-Prozesse, die gerade für neue Produkte und Geschäftsmodelle wichtig sind – Laden der Elektroautos, Buchen von Tickets, Sharing von Rollern und Rädern. Heute ist es häufig so, dass jeder dieser Services eine eigene Payment-Lösung mit eigenen Payment Service Providern nutzt. Was erstens das integrierte Kundenerlebnis erschwert und zweitens die Verhandlungsposition der Stadtwerke gegenüber den Payment Providern bei transaktionsbasierten Verträgen schwächt. Nur sind das keine technologischen Probleme.

Triebkräfte der Transformation

Woher kommt die Motivation zu diesem Wandel, zu dieser neuen Perspektive im kommunalen Bereich? Erwartet man da nicht zu viel von der Zugkraft der Vision?

Michael Dusch: Die Vision spielt eine entscheidende Rolle – aber sie allein reicht natürlich nicht. Der Wettbewerbs- und Erlösdruck auf die Stadtwerke mag aus strukturellen Gründen nicht in der gleichen Intensität bestehen wie in der freien Wirtschaft. Aber auch die Stadtwerke haben einen politischen Auftrag, sie sind vielfach essenziell für die Finanzierung und Handlungsfähigkeit der Kommune. Und deshalb schauen sie durchaus aufmerksam auf die Konkurrenz und deren aggressive und innovative Geschäftsmodelle in so wichtigen Feldern wie Energie oder Telekommunikation. Die Digitalisierung und Liberalisierung führen hier zu einer Verschärfung und erzeugen durchaus Handlungsbedarfe.

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„Mit zukunftsorientierten Visionen, innovativen Projekten und ambitionierten Roadmaps überzeugen Stadtwerke auch als Arbeitgeber.“

Mirco Pinske: Ein weiterer Faktor ist die Attraktivität als Arbeitgeber. Weil sehr viele Stadtwerke, bei allen regionalen und strukturellen Unterschieden, zunehmend Schwierigkeiten haben, hochqualifizierte Mitarbeiter zu finden. Die damit einhergehende Alterung der Belegschaft hat für einige Stadtwerke bereits existenzbedrohenden Charakter. Ohne eine zukunftsorientierte Vision, innovative Projekte und ambitionierte Roadmaps, ohne ein klares Image und eine höhere Qualität und Intensität der Kundenbeziehung wird man hier auch keine Lösungen finden. Und es wächst die Zahl der Stadtwerke, die sich mit diesen Fragen aktiv auseinandersetzen wollen.

Darüber hinaus beschäftigen sich die Menschen immer stärker mit den Fragen, in welcher Kommune man leben will und was man von seiner Kommune und den Stadtwerken als ihrem wirtschaftlichen Arm erwartet. Gerade im Hinblick auf den Klimaschutz, die Energieeffizienz, Ermöglichung neuer Arbeitsmodelle oder die Mobilitätswende müssen die Kommunen Antworten finden. Ein integriertes Portfolio, eine intensive und offene Kommunikation mit den Bürgern und eine genaue Kenntnis der Kunden bilden dafür die Basis.

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