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„Die Beschäftigung mit Resilienz bildet
den Kern des strategischen Denkens.“

Strategisches Denken und Resilienz in Krisenzeiten – Teil 2

„Die Beschäftigung mit Resilienz bildet
den Kern des strategischen Denkens.“

Strategisches Denken und Resilienz in Krisenzeiten – Teil 2

Dr. Christoph Cede, Senior Consultant bei der Strategieberatung Repuco, über die Gefahren linearen Denkens, Potenziale von Datenanalytik und KI beim Umgang mit Komplexität und die Spannung zwischen Robustheit und Flexibilität.

Herr Cede, immer wieder kommt es zu der frappierenden Erkenntnis, dass es deutliche Anzeichen für die Krise gab. Man hätte es sehen müssen und können – aber hat es trotzdem nicht gesehen. Kann man dieses Problem strategisch greifen?

Dahinter liegen drei Problemstellungen. Erstens denken und entscheiden Menschen sehr häufig nicht zukunftsoffen, sondern linear. Sie extrapolieren also ihre Erfahrungen: „Es hat in den letzten zehn Jahren funktioniert, deswegen funktioniert es auch in den nächsten zehn Jahren“. Das ist ein Grund, warum viele Entscheidungsträger Dinge nicht auf dem Schirm haben, die rückblickend geradezu offensichtlich erscheinen. Und es führt dazu, dass wir uns in vielen Bereichen auf die Krisen von gestern vorbereiten.

Das zweite Problem ist, dass wir unangenehme Annahmen über die Zukunft ausblenden, zum Beispiel, weil sie unser Wertesystem in Frage stellen, wie etwa ein großer Krieg in Europa. Menschen neigen dazu, unerwünschte Entwicklungen, oder mögliche negative Folgen von Entscheidungen in Planungen zu ignorieren.

Das dritte Problem ist der Umgang mit Unsicherheit. Unsere Gesellschaft erwartet von Entscheidungsträgern, auf alles eine klare Antwort zu haben. Das versetzt Führungspersonen, insbesondere demokratisch legitimierte, in eine Lage, in der sie mit Unsicherheit und mit Ungewissheit gar nicht mehr umgehen können, oder dabei einem extremen Druck ausgesetzt werden. Eine Führungsperson, die Unsicherheit offen kommuniziert, verunsichert alle und unterminiert damit ihre eigene Position. Das System, dass sie in die Position gebracht hat, wird versuchen, jemanden zu finden, der weiß, wo es langgeht.

Wie stark hängt die Zukunftsoffenheit einer Organisation und die Fähigkeit zum Umgang mit Unsicherheiten von der Unternehmensspitze ab?

Sie brauchen auf jeden Fall Menschen, die diese Fragestellungen verstehen und in der Organisation Gehör finden. Es müssen am Ende aber nicht unbedingt die Entscheidungsträger selbst sein. Um Organisationen zukunfts- und strategiefähig zu machen, sind einerseits Veränderungsprozesse erforderlich, die Organisationsstrukturen, Personal und abteilungsübergreifende Arbeitsabläufe neu fokussieren. Und andererseits bedarf es einer Kultur, die sich laufend mit den strategischen Kontingenzen und Fragestellungen beschäftigt und ihr Handeln entsprechend ausrichtet.

Unternehmen und öffentliche Organisationen sind heute mit Themen konfrontiert, die zeitlich, räumlich, strukturell und politisch so groß sind, dass wir sie kaum greifen können: Artensterben, Klimawandel, Demografie. Wie lassen sich solche Megathemen strategisch angehen?

Den Kern bildet eine arbeitsteilige Struktur. Sie macht möglich, dass individuelles Fachwissen der Personen und Institutionen gehoben, gebündelt und aufbereitet wird, damit ein ganzheitliches Lagebild entsteht und strategische Stoßrichtungen entwickelt werden können. Denn je mehr Experten und Perspektiven einbezogen werden, desto größere Objekte lassen sich einer Analyse und Entscheidung zugänglich machen. Doch gleichzeitig gilt, je mehr Personen involviert sind, desto straffer muss die Ontologie sein.

Eine wesentliche Herausforderung liegt dabei darin, Expertenwissen sinnvoll aufzubereiten. Mitunter verfassen Experten zu einem Thema hunderte Seiten. Entscheidungsträger brauchen aber methodisch sinnvoll aufbereitete, knappe Informationen, die in logische Beziehungen zueinander gesetzt werden können. Man muss das Expertenwissen also in eine Analyselogik bringen, die aus einzelnen Entitäten besteht, die entlang definierter Kriterien bewertet werden.

Was bedeutet das im Einzelnen?

Die Entitäten sind Phänomene wie Risiken, Ideen, Technologien, Stakeholdergruppen, oder Trends. Für jede Analyseentität existieren spezifische Fragestellungen und Kriterien. So interessiert mich im Hinblick auf einen Trend sein Impact und seine Robustheit, die möglichen Trendbrüche, seine zeitliche Dimension oder die Wechselwirkungen mit anderen Trends. Bei einem Risiko interessieren mich hingegen konkrete Auswirkungen und Eintrittswahrscheinlichkeit, oder die Frage, wie gut man vorbereitet ist.

Die Analyseontologie und das dadurch gebündelten Expertenwissen soll für einen Entscheidungsträger einen Aufschluss darüber geben, in welche Richtung sich die Umwelt entwickelt und welche Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Auf dieser Grundlage können dann Ziele definiert, Zielkonflikte bewertet und Maßnahmen geplant werden. Unsere Aufgabe als Strategieberater besteht darin, Heuristiken zu schaffen, in denen sich Entscheidungsträger angesichts dieser Komplexität bewegen können.

Welches Potenzial haben dabei Datenanalytik und künstliche Intelligenz?

Datenanalytik hat fraglos erhebliches Potenzial. Doch an die Annahme, dass sich auch komplexe Entscheidungen automatisieren lassen, glaube ich nicht. KI-basierte Tools helfen bei operativen Fragen aber nicht bei der Einschätzung, was in Zukunft passieren kann, und worauf man das Center of Gravity angesichts beschränkter Ressourcen und einer komplexen Umwelt ausrichten sollte. Diese Fragestellung ist das eigentliche Wesen von Strategie, das einen methodischen Zugang erfordert. Erst wenn ich die analytischen Fragestellungen habe, weiß ich, welche Informationen ich brauche, um konkrete Antworten zu finden und zu untermauern. Dabei geht es aber primär nicht um Big Data, sondern um sehr fundiertes Experten- und Erfahrungswissen.

Wenn ein aus Sicht eines Entscheidungsträgers brauchbares Analysesystem aber einmal aufgebaut ist, kann die intelligente Datenverarbeitung dann schon an der richtigen Stelle greifen und zum Beispiel zur Früherkennung beitragen, indem etwa Infektionszahlen, Stromausfälle, Fake News oder Entwicklungen an Finanzmärkten erfasst und analysiert werden.

Gerade große und komplexe Organisationen haben in den vergangenen Jahren Zweifel an ihrer Entscheidungs- und Umsetzungsfähigkeit aufkommen lassen. Sehen Sie auf institutioneller Ebene strukturelle Defizite angesichts einer extrem dynamischen und vernetzten Umwelt?

Es gibt Stimmen die sagen, dass unsere Institutionen zwar sehr robust sind, aber die Flexibilität verloren haben und keine Entscheidungen mehr auf den Boden bringen. Resilienz erfordert aber beides, Robustheit und Flexibilität. Gerade der öffentliche Sektor ist jedoch sehr stark formalisiert und institutionalisiert. Das ist ein Wesensmerkmal der Verwaltung. Sie ist so angelegt, dass sie demokratischer Kontrolle zugänglich ist, und deswegen flexible Entscheidungen im Prinzip nicht zulässt. Dafür ist sie sehr robust. Man muss deshalb versuchen, zentrale Resilienzfaktoren, etwa die Kommunikationsfähigkeit oder die Fähigkeit zur Arbeitsteilung, zu stärken und Potenziale für Flexibilisierung, für kurze Amts- und Dienstwege systematisch zu heben.

Mit Blick auf die letzten Jahre, die von außergewöhnlichen Belastungen und Disruptionen für den öffentlichen Sektor geprägt waren und sind, ist ein vorsichtiger Optimismus erlaubt. Krisenzeiten sind eben immer auch ein Katalysator für Veränderung und Weiterentwicklung.

Wir haben nun vor allem über strategische Optionen und Szenarien angesichts kritischer oder sogar disruptiver Entwicklungen gesprochen. Aber sollten diese Ansätze und Denkweisen nicht auch im „Normalbetrieb“ handlungs- und entscheidungsleitend sein?

Unbedingt. Wenn eine Organisation langfristig erfolgreich sein will, braucht es eine strukturierte Herangehensweise an strategische Fragestellungen, um Erfolgspotenziale zu identifizieren: Wie kann sich mein Umfeld entwickeln? Wohin zeigen die aktuellen Entwicklungen? Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus für mich? Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung und wie kann ich diese Ressourcen mobilisieren? Welche möglichen Optionen sind besonders robust? Die Beschäftigung mit Resilienz zur Stärkung von Strukturen ist also immer angebracht, nicht nur dann, wenn man sich mit Krisenszenarien auseinandersetzt. Sie bildet den Kern des strategischen Denkens.

Im Interview

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Dr. Christoph Cede

"Unsere Gesellschaft erwartet von Entscheidungsträgern, auf alles eine klare Antwort zu haben. Das setzt Führungspersonen einem extremen Druck aus."

"Organisationen brauchen eine Kultur, die sich laufend mit strategischen Kontingenzen und Fragestellungen beschäftigt."

"Die Aufgabe der Strategieberatung besteht darin, Heuristiken zu schaffen, in denen sich Entscheidungsträger bei großer Komplexität bewegen können."

"Krisenzeiten sind immer auch ein Katalysator für Veränderung und Weiterentwicklung."

"Die Beschäftigung mit Resilienz zur Stärkung von Strukturen bildet den Kern des strategischen Denkens."

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