Dr. Christoph Cede, Senior Consultant bei der Strategieberatung Repuco, über Krisenresilienz,
strategische Ressourcen und das Spannungsfeld zwischen Disruption und Struktur.
Herr Cede, große Unternehmen und öffentliche Organisationen sind immer häufiger mit tiefgreifenden Krisen konfrontiert. Sie müssen schnell und flexibel auf unvorhergesehene Szenarien reagieren, operieren dabei jedoch in festen Strukturen mit hoher Latenz. Wie lässt sich mit dieser Spannung umgehen?
Eine Organisation, die von einer Disruption betroffen ist, kann in ihren Grundfesten erschüttert werden, sodass sie die bisherige Arbeitsweise nicht mehr aufrechterhalten kann. Im schlimmsten Fall werden ihre Kernziele und ihr Fortbestand insgesamt in Frage gestellt. Um als Organisation eine Disruption zu überstehen, sind einerseits sowohl weitsichtige präventive als auch effiziente reaktive Maßnahmen erforderlich. Zudem muss man die operativen und die strategischen Ebene unterschieden.
Wenn eine Disruption eintritt, ist erstmal entscheidend, dass die operative Ebene funktioniert. Da werden Krisenstäbe aufgebaut und Lagebilder erstellt, beispielsweise über das aktuelle Virusgeschehen, oder die Auswirkungen eines Blackouts. Auf dieser Basis werden Maßnahmen definiert, um die Situation in der Krise zu stabilisieren.
Welche Fragestellungen prägen die strategische Ebene des Krisenmanagements?
Auf der strategischen Ebene stellt sich die Frage, wo angesichts beschränkter Ressourcen der Schwerpunkt liegen soll, mit dem die Organisation die größte Wirkung erzielt. Dabei geht es um die grundsätzliche, langfristige Positionierung. Bis die auf der strategischen Ebene angestoßenen Veränderungen ihre Wirkung entfalten, dauert es lange. Die Situation, unter der die Maßnahmen eingeführt worden sind, ist im Krisenfall meistens überholt.
Um mit dem Spannungsfeld zwischen Disruption und Struktur umzugehen, ist deshalb kontinuierliche strategische Arbeit unverzichtbar. Idealerweise führt man einen permanent laufenden Strategieprozess, der Handlungsanleitungen erstellt und entlang dessen handlungsauslösende Entscheidungen herbeigeführt werden, damit die operative Ebene diese dann umsetzen kann.
Wie würde man in diesem Strategieprozess vorgehen?
Im Wesentlichen muss eine Organisation langfristig überlegen, was alles passieren kann. Dabei geht es nicht nur um einzelne grundsätzliche Disruptionsszenarien, sondern auch um Varianten und Interdependenzen.
Um beim Beispiel einer Pandemie zu bleiben – Covid hat sich glücklicherweise als ein Virus mit relativ geringer Letalität erwiesen. Bei einer Letalität von 50 oder 60 Prozent, wie bei einer Pockenpandemie, hätten die ergriffenen Maßnahmen vermutlich versagt. Man muss sich also mit Varianten einzelner Risiken auseinandersetzen.
Betrachten wir ein anderes Beispiel: Eine Finanzkrise kann eine Wirtschaftskrise nach sich ziehen, der eine soziale Krise folgt. Diese kann wiederum das Vertrauen in staatliche Institutionen erschüttern. Diese Interdependenzen zwischen Krisenszenarien nehmen zu. Eine Krise wird in Zukunft nicht nur eine Dimension des Handelns betreffen, sondern man wird es mit multidimensionalen Krisen zu tun haben, die auch breite Kaskadeneffekte nach sich ziehen.
Wie kann ein Unternehmen sich auf solche Krisen vorbereiten?
Man sollte sich darauf vorbereiten, dass Unvorhergesehenes passiert. Es geht weniger darum, Konzepte zu schreiben, wie Krisenstäbe funktionieren oder was im Krisenfall zu tun ist. Die eigentliche Frage ist, welche strategischen Reserven ich schaffe. Um beim Beispiel der Finanzkrise zu bleiben – hier könnte man fragen, wodurch eine Wirtschaftskrise ausgelöst werden kann, und wie sich Folgewirkungen abfedern lassen. Vielleicht kommt man darauf, dass es wichtig ist, Bürgerforen zu etablieren, um den sozialen Austausch zu stärken, Währungsreserven zu bilden oder bestimmte Lieferketten und Strukturen zu diversifizieren.
Das klingt erstmal komplex und abstrakt. Doch es ist absolut notwendig, sich mit dieser Komplexität auseinanderzusetzen und zukunftsoffen zu denken. Denn man sollte nicht erst in der Krise feststellen, dass man keine strategischen Reserven hat, oder die falschen strategischen Reserven gebildet hat. Etwa dadurch, dass man tausende Krankenhausbetten einrichtet, um sich auf eine Pandemie vorzubereiten, die nicht oder ganz anders eintritt als vermutet. Im Kern geht es um strategisches Management unter Einsatz der Szenariotechnik.
Nun gibt es nicht nur Szenarien, die man durchdenken kann, sondern auch Dinge außerhalb unseres Horizonts – die „unknown Unknowns“. Wie kann man damit umgehen?
Man braucht einerseits Strukturen, die in jedem Krisenfall hochgefahren werden können – Krisenstäbe, generelle Konzepte und Vorgehensweisen. Das funktioniert auch meistens recht gut. Andererseits kommt es in einer Krise im Wesentlichen auf einige wenige Resilienzfaktoren an. Sie bestimmen, ob das System überlebt oder nicht. Da geht es um strategische Reserven, Kommunikationsfähigkeit, Vertrauen, die Fähigkeit der Arbeitsteilung und die Belastbarkeit sozialer Netzwerke – nicht Social Media, sondern echte Netzwerke. Diese Resilienzfaktoren müssen in jeder Krise aktiviert werden, in unterschiedlich starken Ausprägungen. Man muss deshalb diese Resilienzfaktoren kontinuierlich analysieren und stärken.
Wie lassen sich diese generellen Faktoren in einen unternehmensindividuellen Kontext umsetzen?
Die Resilienzfaktoren müssen unter Stress rasch aktivierbar sein. Man muss also wissen, welche Personen dafür gebraucht werden. Dann haben Sie eine Organisationsform, Sie wissen, bei wem Sie sich im Krisenfall melden und wen Sie in die vorher definierten Strukturen einbinden. Sie wissen, wer etwas tun muss, allerdings noch nicht genau, was genau getan werden muss, um die Situation zu verbessern – letzteres ist dann situationsspezifisch.
Im Interview
Dr. Christoph Cede
"Um als Organisation eine Disruption zu überstehen, sind sowohl weitsichtige präventive als auch effiziente reaktive Maßnahmen erforderlich."
"In Zukunft werden wir es mit multidimensionalen Krisen zu tun haben, die breite Kaskadeneffekte nach sich ziehen."
"Man sollte nicht erst in der Krise feststellen, dass man keine, oder die falschen strategischen Reserven hat."
"Es kommt in einer Krise im Wesentlichen auf einige wenige Resilienzfaktoren an. Sie bestimmen, ob das System überlebt oder nicht."
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