Interview zur Wärmewende mit Michael Dusch & Dr. Christof Spangenberg,
Geschäftsführer, m3 management consulting GmbH
Die Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung ist die zentrale Voraussetzung, die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen. Wo liegen die besonderen Herausforderungen der Wärmewende?
Michael Dusch: Ein wesentliches Merkmal der Wärmewende besteht in ihrer engen Wechselwirkung mit den anderen Säulen der Energiewende, die als strategische Rahmenbedingungen mitgedacht werden müssen. Deutlich wird dies am Beispiel der Luftwärmepumpe: Sie bietet heute grundsätzlich den schnellsten Pfad zu einer vermeintlich CO2-neutralen Wärmeerzeugung. Dafür müssen jedoch zwei zentrale Voraussetzungen geschaffen werden: Zum einen der Ausbau der Stromnetzinfrastruktur, da durch den parallelen Ausbau der Elektromobilität immer mehr Last auf das Stromnetz kommt, das für diese Größenordnung eigentlich gar nicht ausgelegt ist. Zum anderen muss der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben werden, um zu verhindern, dass Luftwärmepumpen mit Strom aus fossilen Energieträgern betrieben werden und damit mehr CO2 emittieren als eine herkömmliche Gasheizung.
Christof Spangenberg: Das führt unmittelbar zur Frage der Sektorkopplung, also der Verknüpfung von Strom, Wärme, Mobilität und industriellen Prozessen sowie den dazugehörigen Infrastrukturen. Dazu müssen Konzepte und Lösungen gefunden und umgesetzt werden, wie Überschüsse aus Photovoltaik oder Windstrom für die grüne Wärmeerzeugung genutzt werden können, entweder direkt als Power-2-Heat oder Wärmepumpen oder indirekt in Form von grünem Wasserstoff.
Neben diesen allgemeinen Rahmenbedingungen muss festgelegt werden, mit welcher Technologie das Ziel von 50% klimaneutraler Wärmeerzeugung bis 2030 vor Ort realisiert werden soll. Die Kommunen sind deshalb beauftragt, eine kommunale Wärmeplanung durchzuführen. Was ist davon zu erwarten?
Christof Spangenberg: Die Wärmeplanung, so wie sie verabschiedet werden soll, liefert im Wesentlichen drei mögliche Ergebnisse: Entweder ist ein Gebiet für eine dezentrale Einzellösungen geeignet oder es ist für eine zentrale Lösung geeignet – oder beides. Dahinter liegt dann jeweils eine Liste von möglichen Technologien, die für eine zentrale oder dezentrale Wärmeerzeugung am jeweiligen Standort eingesetzt werden können. Das meiste davon wissen Stadtwerke und Kommunen eigentlich schon. Viel Überraschendes ist davon somit nicht zu erwarten. Die eigentlich spannende Frage, die derzeit noch völlig offen ist, lautet: Was passiert danach? Denn derzeit gibt es noch keine vereinbarte Struktur, wer Verantwortung für die Realisierung übernimmt. Dadurch besteht die Gefahr, dass wir mehrere Jahre verlieren, die wir hinten nicht mehr drankriegen.
Worauf müsste man sich jetzt stattdessen fokussieren?
Michael Dusch: Die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Wärmewende ist Handlungsklarheit und Investitionssicherheit – und zwar in zwei Richtungen: Zum einen brauchen die Bürgerinnen und Bürger Klarheit darüber, in welche Heiztechnologie sie künftig investieren sollen – oder ob sie in den nächsten Jahren doch an ein Nah- oder Fernwärmenetz angeschlossen werden. Gleichzeitig muss verhindert werden, dass langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren den Umstieg verzögern. Wir brauchen hier also eine Beschleunigung in doppelter Hinsicht: sowohl schnelle Handlungsklarheit als auch eine beschleunigte Planungs- und Umsetzungsgeschwindigkeit. Auf der anderen Seite müssen die notwendigen Rahmenbedingungen in der Industrie geschaffen werden, um den Markt auf diese Sonderkonjunktur auszurichten, sodass zum Beispiel die Hersteller von Wärmepumpen entsprechende Produktionskapazitäten einplanen können.
Wie lässt sich diese Handlungsklarheit herstellen?
Christof Spangenberg: Gerade in der Diskussion mit dem Bürger hat sich gezeigt, dass der Weg über Verbote wenig zielführend ist. Wichtiger wäre es daher, jetzt konkrete und verbindliche Rahmen- und Förderbedingungen zu schaffen, damit sich Bürger und Markt darauf einstellen können. Ich bin davon überzeugt, dass ein Preis von 200 bis 300 Euro pro Tonne CO2, mit dem Experten mittelfristig rechnen, eine erhebliche Lenkungswirkung entfalten wird. Zumal wir bereits heute sehen, dass sich Hersteller, Dienstleister und Stadtwerke anfangen zu bewegen.
Der CO2-Preis wird im Bund festgelegt – der Auftrag für die kommunale Wärmeplanung liegt de facto bei den Kommunen. Wo wird die Wärmewende entschieden?
Michael Dusch: Auf der einen Seite muss es eine zentrale politische Vorgabe geben, welche Optionen im Sinne eines Portfolios für die Umsetzung der Wärmewende herangezogen werden dürfen. Auf der anderen Seite muss die Freiheit zur lokalen Ausgestaltung der Wärmewende bei den jeweiligen Kommunen liegen. Denn die Voraussetzungen sind je nach Region, je nach Topologie, ob ländlicher Raum oder Metropole grundsätzlich andere – beispielsweise bei der Frage nach Fernwärme: Hier reicht das Spektrum von zersiedelten Gebieten, für die eine zentrale Lösung nicht in Frage kommt, über Industrie-Cluster mit großen Potenzialen für eine Nahwärmeversorgung, bis hin zu hochverdichteten Städten wie Berlin, wo die großflächige Verlegung von neuen Fernwärmenetzen nicht durchführbar erscheint und auf bestehende Leitungen zurückgegriffen werden muss bzw. auf andere Technologien zurückgegriffen werden sollte.
Inwiefern bieten diese spezifischen lokalen Anforderungen Chancen für Stadtwerke und regionale Versorger, sich als Gestalter der Wärmewende zu positionieren?
Christof Spangenberg: Die Voraussetzungen sind ideal. Deswegen ermutigen wir auch die Stadtwerke, sich da aktiv einzubringen. Denn es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sie eingebunden werden: Der Auftrag liegt zunächst einmal bei der Kommune und wen sie einbeziehen, ist deren Sache. Aber gerade beim Thema Sektorkopplung und bei der Frage, wer die Kundensteuerung übernehmen kann, führt an den Stadtwerken de facto kein sinnvoller Weg vorbei. Jetzt als Stadtwerk zu warten, bis die Wärmeleitplanung abgeschlossen ist, erhöht die Gefahr, dass sich auch weitere Anbieter ins Spiel drängen. Deshalb lautet der klare Rat: Bringt euch in Position, nutzt eure Ortskenntnis und wartet nicht, bis die formale Wärmeleitplanung fertig ist.
Was sollten Stadtwerke in Vorbereitung darauf bereits heute tun?
Christof Spangenberg: Die meisten Stadtwerke können für ihre Region heute schon recht gut absehen, was auf sie zukommt, und sollten sich daher bereits jetzt Gedanken machen, wie sie ihre Kunden ansprechen, wo diese derzeit stehen, z.B. hinsichtlich des Alters der Heizungsanlagen oder des energetischen Zustands der Gebäude. Sie können bereits die Finanzierungsfrage klären und sich damit positionieren, sobald die Ergebnisse der Wärmeleitplanung vorliegen. Sie müssen erkennen, dass in den kommenden 10-15 Jahren so gut wie jedes Objekt umfangreich energetisch saniert und zum Prosumer werden wird. Dafür braucht es ein Angebot, sonst werden sie mittelfristig auf den Netzbetrieb reduziert.
Michael Dusch: Die Kunden suchen jetzt nach Lösungen und wollen unabhängig von gesetzlichen Rahmenbedingungen wissen, wie es weitergeht. Es muss darum gehen, ihnen die Sicherheit zu geben, dass man sich um sie kümmert, eine Lösung für sie findet und der erste Ansprechpartner vor Ort ist. Diese Rolle können Stadtwerke optimal ausfüllen. Das geht bis hin zum Angebot oder der Vermietung von Übergangstechnologien, bis das örtliche Fernwärmenetz ausgebaut ist.
Sie haben die Finanzierung angesprochen. Wie können Stadtwerke die notwendigen Investitionen, etwa für den Ausbau des Fernwärmenetzes, stemmen?
Christof Spangenberg: Es gibt mehrere Bausteine: neben der üblichen Finanzierung über Kommunalkredite gibt es eine Reihe von Förderoptionen. Man kann auch einen Investor einbinden oder eine Bürgerfinanzierung auflegen.
Michael Dusch: Für einen Investor ist das eine sichere Kapitalanlage. Das Netz ist verlegt, die Kunden sind angeschlossen. Es ist nicht zu erwarten, dass der Wärmeerzeuger, wenn das in irgendeiner Form die Kommune ist, zahlungsunfähig wird. Insofern ist das eine wahrscheinlich niedrig verzinste, aber sehr sichere Anlagemöglichkeit.
Im Interview
Dr. Christof Spangenberg
Michael Dusch
"Die eigentlich spannende Frage, die derzeit noch völlig offen ist, lautet: Was passiert danach?"
"Der Weg über Verbote ist wenig zielführend."
"Beim Thema Sektorkopplung führt an den Stadtwerken de facto kein sinnvoller Weg vorbei."
"Die Kunden suchen jetzt nach Lösungen und wollen wissen, wie es weitergeht."
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