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Dezentrale Ökosysteme erfordern

eine Transformation von Prozessen und IT

Gespräch mit Dr. Oliver Mehl und Ralf Neubauer 

  

Dezentrale Ökosysteme erfordern eine Transformation von Prozessen und IT

Gespräch mit Dr. Oliver Mehl und Ralf Neubauer 

Eine dynamische und innovative Wirtschaft ist ohne Datenökosysteme nicht denkbar. Doch gleichzeitig hat die Macht zentralisierter Plattformen auch Schattenseiten. Lässt sich diese Spannung auflösen?

Ralf Neubauer: Wir brauchen Datenökosysteme, in denen sich einerseits die Vorteile digitaler Prozesse und gemeinsamer Datenräume nutzen lassen und die andererseits dezentral organisiert sind. Dezentral bedeutet, dass es keine zentrale Instanz gibt, die die gesamte Plattform betreibt, die Daten und Datenprozesse organisiert. Dezentrale Ökosysteme basieren auf dem Prinzip der Datensouveränität. Jeder, der Daten zur Verfügung stellt, entscheidet souverän darüber, mit wem, wann, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen dieses Teilen stattfindet. Das erfordert technologische Lösungen und eine partnerschaftliche Aufstellung. Somit entsteht ein dynamisches Netzwerk, in dem gemeinsam Werte geschaffen werden. Ein Datenökosystem, das unter diesen Voraussetzungen gerade entsteht, ist zum Beispiel Catena-X für die Automobilindustrie.

Es geht also darum, ein übergeordnetes, transparentes Regelwerk zu schaffen?

Dr. Oliver Mehl: Ja. Und zwar mit dem Ziel, von zentralen Elementen und Anbieter-Systemen unabhängig zu sein, Datensouveränität zu gewährleisten, Lock-in-Effekte zu vermeiden und somit Daten und Investitionen zu schützen.

Innerhalb eines solchen Systems können verschiedenste Dienste und Infrastruktur-Services angeboten werden, die von den Teilnehmern gezielt ausgewählt werden können. Deshalb zielt ein Teil des Regelwerks zum Beispiel explizit auf die Frage, wie standardisierte Auswahlmöglichkeiten geschaffen werden können.

Wie wird in einem Netzwerk wie Catena-X ein Verlust der Datensouveränität vermieden?

Ralf Neubauer: Vor allem dadurch, dass der Datenaustausch zwischen den Teilnehmenden regelbasiert ohne zentral vermittelnde Instanz organisiert wird. So lässt Catena-X zum Beispiel nur den Austausch zwischen den Prozesspartnern zu und das nur zwischen direkten Prozessschritten, also nicht über mehrere Wertschöpfungsstufen hinweg.

Das ist einerseits eine technische Frage. Die innerhalb solcher Ökosysteme verwendete Software basiert entweder auf Open Source oder erfüllt als Third-Party Software die gleichen Standards. Dezentral organisierte Self-Sovereign Identities (SSI), digitale Identitäten, werden genutzt, um Teilnehmer im Netzwerk zu identifizieren und rechtliche Sicherheit herzustellen. Oder es kommen Lösungen zum Einsatz, um die Daten eines Partners mit den Algorithmen eines anderen zusammenzubringen, ohne das eine oder das andere vollständig herausgeben zu müssen.

Andererseits braucht es gemeinsame Regeln sowie eine übergreifende Governance, damit Standards eingehalten werden. Im Fall von Catena-X stellt die als Verein organisierte Catena-X Association diese Governance-Regeln auf.

Digitalen Austausch innerhalb von Lieferketten gibt es seit vielen Jahren. Was ist der Vorteil von dezentralen Ökosystemen wie Catena-X gegenüber etablierten Ansätzen?

Ralf Neubauer: Catena-X zielt darauf, die komplette Lieferkette zum Teil des Ökosystems zu machen. Das hat mehrere entscheidende Vorteile. Die Kommunikation entlang der Lieferkette wird deutlich beschleunigt und basiert auf gemeinsamen Standards. Heute hat man die Situation, dass der Digitalisierungsgrad abnimmt, je weiter man in der Wertschöpfungskette zurückgeht. Das verhindert, dass das volle Potential der Digitalisierung ausgeschöpft werden kann.

Durch ein offenes, kollaboratives und auf gemeinsamen Standards basierendes Ökosystem können auch kleinere Unternehmen profitieren. Wenn sie z.B. nicht mehr mehrere proprietäre Plattformen parallel managen und den Datenzugang einseitig öffnen müssen. Damit können operative Mehrwerte ausgewiesen werden und gleichzeitig nimmt auch die durchaus rationale Angst vor Souveränitätsverlust, Abhängigkeit und hohen Investitionskosten ab.  

Dr. Oliver Mehl: Hinzu kommen Vorteile im Hinblick auf die Flexibilität, Geschwindigkeit und Kosteneffizienz. Ist die gesamte Wertschöpfungskette Teil des Ökosystems, müssen mit neuen Lieferanten keine komplizierten Vereinbarungen geschlossen, keine neuen Schnittstellen eingerichtet und der Datenaustausch nicht neu aufgebaut werden. Die Prozesse genügen etablierten Standards und Compliance-Anforderungen, wodurch Projekte sehr schnell initiiert werden können. Um zu erkennen, welchen hohen strategischen Wert das hat, genügt ein Blick auf die geopolitischen, klimatischen und technologischen Disruptionen, denen die Wertschöpfungsketten heute ausgesetzt sind. Man kann sich keine monatelangen Prozess-Set-ups und IT-Synchronisierungen erlauben, wenn etwa der Nachschub kritischer Ersatzteile ins Stocken gerät.

Der Weg in ein Netzwerk wie Catena-X ist nicht allein eine Frage der Anpassung einer Handvoll externer Schnittstellen. Wie stark müssen Unternehmen ihre Prozesse und Technologien verändern, um partizipieren zu können?

Dr. Oliver Mehl: Jedes Unternehmen muss für sich die Frage beantworten, welche Prozesse vor dem Hintergrund des eigenen Geschäftsmodells sinnvoll oder notwendig sind. Zum Beispiel gibt es bei Catena-X einen Use Case zur Erfassung des Product Carbon Footprint (PCF) entlang der Lieferkette. Um ihn zu nutzen, muss man die Catena-X Standards an Datenaufbereitung und Dokumentation erfüllen. Die eigene Ablauforganisation und Technologie müssen dazu aber auch in der Lage sein. Die Teilnahme an dezentralen Ökosystemen setzt deshalb häufig eine Transformation von Prozessen und Systemen im Inneren voraus.

Dezentrale Datenökosysteme sind heute noch in einer frühen Phase. Was denken Sie, wie stark werden sie in den kommenden Jahren die Industrie prägen?

Ralf Neubauer: Ich glaube, dass Ideen, die heute im Kontext solcher Ökosysteme entwickelt werden, sowohl die Wertschöpfung als auch die IT nachhaltig verändern werden. Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir in fünf Jahren gar nicht mehr über die Technologien sprechen, die da zum Einsatz kommen, ihr Einsatz wird für Unternehmen selbstverständlich werden. Dazu wird vor allem ihre Standardisierung beitragen, die bereits begonnen hat.

Im Interview

karsten redenius advisors interview 150x150

Oliver Mehl

Principal Business Consultant

oliver.mehl@msg.group

sturm irmgard msg 

Ralf Neubauer 

Principal Project Manager

 ralf.neubauer@msg.group

 

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