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Patient Centricity

„Vertrauen ist die Basis einer
erfolgreichen Patient-Excellence-Strategie"

Patient Centricity

„Vertrauen ist die Basis einer
erfolgreichen Patient-Excellence-Strategie"

Dr. Thomas Kraft, Head of Competence Center Market Excellence bei msg industry advisors ag, über die Bedeutung von Patient Centricity und die zentrale Rolle des Vertrauens für eine erfolgreiche Patient-Excellence-Strategie.

Customer Centricity zählt heute branchenübergreifend zu den zentralen Paradigmen. Welche Rolle spielen diese Ansätze im Gesundheitswesen? Was macht Patient Centricity aus? 

Die Kundenorientierung ist in der Tat ein wesentlicher Anker und Leitprinzip für nachhaltigen Markterfolg. Im Kern geht es darum, alle Prozesse auf die bestmögliche Weise und über den gesamten physischen und digitalen Interaktionszyklus hinweg auf das Wohl der Kunden auszurichten. Diese generellen Prämissen gelten natürlich auch im Gesundheitswesen. Die Menschen sollen im Verlauf des gesamten Behandlungsprozesses in ihrer Rolle als Patienten situationsbedingt die bestmöglichen Erfahrungen machen und sich engagieren können, sodass am Ende eine möglichst hohe Patient Satisfaction erreicht werden kann, also ein hoher Zufriedenheitsgrad, gemessen an den vielfältigen und komplexen Erwartungen und Bezugspunkten.

So weit die strukturellen Ähnlichkeiten von Patient und Customer Centricity. Was ist nun das Besondere?

Medizin ist natürlich ein sehr spezielles Feld. Es geht um sehr kritische Faktoren bis hin zum eigenen Leben, weshalb eine sehr hohe Sensitivität den Prozess prägt. Der wichtigste Faktor ist dabei das Vertrauen. Vertrauen ist im Hinblick auf die Customer Excellence und Customer Experience generell von zentraler Bedeutung. In der Beziehung zu Patienten im gesamten Behandlungsprozess ist es existenziell.

Bei Patient Centricity geht es primär um die Beziehung zwischen Patienten und Arzt. Auf den Arzt konzentriert sich der Druck, für tatsächlich erlebte Exzellenz zu sorgen. Gleichzeitig gibt es aber viele andere Stakeholder – Versicherungen, Verwaltungen, Dienstleister, Pharmaindustrie, Medizintechnikhersteller. Sie alle eint das Ziel der Patient Satisfaction. Wenn diese Akteure gut zusammenarbeiten, lässt sich im Hinblick auf dieses Ziel noch sehr viel mehr als heute tun.

Über die typische Souveränität des Kunden verfügen Patienten nicht im gleichen Maße. Stattdessen prägen Ängste, Abhängigkeiten, Handlungsdruck und Unsicherheit die Situation. Welche Relevanz haben diese Rahmenbedingungen?

Die Ausgangssituationen von Kunden und Patienten sind sehr unterschiedlich. Kunden gehen souverän und aktiv in die Interaktion mit Anbietern. Deren Aufgabe ist es, Kundenwünsche zu erfüllen, wobei die passende Gestaltung der Journey das Mittel zum Zweck ist, um positive Erfahrungen zu ermöglichen.

Aber niemand geht gern zum Arzt oder ins Krankenhaus. Man will auf eine möglichst schmerzfreie Weise und unter Wahrung persönlicher Würde gesund werden. Das sind sehr basale Ziele. Der Arzt ist kein Dienstleister, der Wünsche erfüllt; die Therapie, die er empfiehlt, entspricht häufig nicht dem, was Patienten wollen. Wer will denn eine Chemotherapie? Niemand. Aber der Wille zu überleben, gesund zu werden, steht über allem. Und weil das so ist, sind Menschen bereit, durch solche Täler zu gehen. Es ist offensichtlich, dass Vertrauen dabei eine überragende Rolle spielt. Denn der Patient gibt letztlich die Autonomie an den Arzt ab. Wenn man nicht selbst Arzt ist, kann man die medizinische Fachmeinung nur schwer einschätzen. Der Arzt ist die Vertrauensperson. Das bedeutet, die anderen Stakeholder im Behandlungsprozess haben dieses Vertrauen erstmal nicht. Es müssen deshalb alle, die im Gesundheitsmarkt Beiträge zum Wohl des Patienten leisten, sehr viel enger und orchestrierter zusammenarbeiten, um dieses Vertrauen zu erarbeiten.

Was bedeutet diese zentrale Rolle des Vertrauens für die Pharmaindustrie?

Die Pharmaindustrie hat keine eigenen Patienten, es sind die Patienten der behandelnden Ärzte oder Kliniken. Daraus erwächst die Herausforderung, den Mehrwert der eigenen Leistung für Patienten erkennbar und so weit wie möglich verständlich zu machen. Das ist die Grundlage, um Vertrauen zu begründen. Aktuell sind Patienten und Pharmaunternehmen in einer Kennenlernphase. Die Industrie steht vor der Aufgabe, sich als aktiver und vertrauenswürdiger Partner der Patienten zu positionieren. Wenn Patienten der Pharmaindustrie vertrauen, werden sie eher bereit sein, hochsensible Gesundheitsdaten für die medizinische Forschung und medizinische Studien zu teilen.

Diese Daten sind von unschätzbarem Wert. In der pharmazeutischen und therapeutischen Praxis sind sie alles – ohne sie gibt es keinen wirklichen Fortschritt, keine bessere, keine neue Medikation. Patient Excellence hängt also maßgeblich davon ab, wie viel man über die Patienten weiß. Vertrauen ist die Voraussetzung dafür, dass dieses Wissen entstehen kann.

Welche Ansätze gibt es, um dieses Vertrauen aufzubauen?

Erforderlich sind koordinierte Aktionen, die kleinere Schritte verknüpfen, verschiedene Formen der Unterstützung für Patienten, Communitys, Angehörige. Dabei können digitale Technologien sehr hilfreich sein. Zum Beispiel wollen immer mehr Menschen möglichst genau ihren Gesundheitszustand kennen und ihre Gesundheit aktiv und präventiv steuern. Das erklärt auch die große Akzeptanz der Health Apps. Pharmahersteller, ob allein oder über Partnerschaften, könnten dieses Bedürfnis ansprechen und Inhalte über Apps liefern, die in bestimmten Situationen wertvoll sind.

Hinzu kommt: Mit personalisierter Medizin muss auch personalisierte Information einhergehen. Es geht also um die konkrete Situation: Wenn ein Mensch Patient ist, ändern sich seine Prioritäten. Digitale Services, die unnötig komplex sind, spezielle Fähigkeiten erfordern, auf den Zustand des Patienten nicht eingehen, sind zum Scheitern verurteilt. Wenn man nach einer Operation im Bett liegt und kein Tablet halten oder bestimmte Informationen nicht verarbeiten kann, braucht man Szenarien, die für diese Rahmenbedingungen angemessen sind. Man muss die konkrete Situation verstehen, auf sie eingehen und die situativ optimale Erfahrung ermöglichen. Andernfalls erzeugt man weder Akzeptanz noch Vertrauen.

Wie genau profitiert die Pharmaindustrie von der Interaktion mit den Patienten?

Um es konkret zu machen, lassen sich zwei Themen herausgreifen: Das eine ist Personal Healthcare, eine zunehmend individualisierte Medizin. Die allgemeinen Medikationen sind bereits so gut, dass sich im Hinblick auf den Patientennutzen in manchen Bereichen ein Plateau abzeichnet. Wir brauchen deshalb neue Untersuchungsmethoden, etwa die Gensequenzierung, und tiefere Einblicke in die Lebensumstände der Patienten. Nur dann können wir tiefere und genauere Einsichten in die Frage gewinnen, wie ein Organismus auf bestimmte Medikation reagiert und welche Wechselwirkungen und Rahmenbedingungen relevant sind. Wenn die Pharmaindustrie auf genetische Grenzdaten anonymisiert und teilanonymisiert zugreifen kann, kann sie auch die Entwicklung individueller Medikation besser vorantreiben.

Das zweite – damit korrespondierende – Thema sind Marktzulassungen und Erstattungen. Neue Medikationen müssen einen zusätzlichen Nutzen nachweisen, um zugelassen und in die Erstattungsprogramme der Versicherer übernommen zu werden. Diesen Nutzen zu ermöglichen und nachzuweisen wird in vielen Bereichen schwieriger. Die Verfügbarkeit von Daten würde dazu führen, dass durch personalisierte oder auf bestimmte Patientengruppen abgestimmte Verfahren Medikationen entwickelt werden könnten, die signifikante Fortschritte erzielen. Patientennutzen und wirtschaftlicher Erfolg der Industrie gehen also Hand in Hand.

Mehr Daten über die Patienten ermöglichen neue Einsichten – generieren aber auch zusätzliche Komplexität. Welche Implikationen hat diese Entwicklung?

Ironischerweise erzeugt ein besseres Verständnis zunächst eine rasant steigende Komplexität. Wenn 1.000 oder 10.000 Parameter analysiert und kombiniert werden, brauchen wir nicht nur Daten, sondern auch Logiken und Methoden, um mit diesem statistischen Rohstoff effizient umzugehen. Hinzu kommt: Je personalisierter die Medikation wird, desto weniger statistische Daten stehen zur Verfügung. Deshalb ist der Weg über eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit sicher ein richtiger Ansatz. Ob das der einzige ist oder ob auch andere Ansätze möglich sind – das ist eine andere Frage.

Das ist die eine Seite der Komplexität. Die andere ist das System, in dem diese Daten zirkulieren müssen und das geprägt ist von organisatorischen und technologischen Silos, Vielstimmigkeit oder konkurrierenden Zielen. Customer Centricity und Customer Excellence funktionieren nur, wenn alle mitmachen. Wenn Prozesse und Daten entlang der Patient Journey nicht integriert sind, erzeugen wir in jedem Abschnitt dieser Reise Datenfriedhöfe und -brüche, was dazu führen kann, dass wichtige Initiativen und Innovationen an struktureller Komplexität scheitern.

KI spielt schon heute eine sehr starke Rolle im Kundenmanagement – auf verschiedenen Ebenen. Welche Änderungen könnten mit der Popularisierung der Large Language Models hinzukommen?

Dort, wo direkt oder statisch korrelierte Informationen zusammengefügt werden, könnten Kundeninteraktionen automatisiert werden. Je fehlerfreier das funktioniert, desto eher wird sich diese Art der Interaktion durchsetzen. Wenn ich als Patient unsicher bin, was ich als Nächstes tun soll, helfen diese Modelle schon heute. In der Medizin ist die Informationsbeschaffung teilweise sehr komplex. KI-Assistenten bauen Barrieren hinsichtlich Verständlichkeit und Verfügbarkeit ab – und bleiben dabei gelassen und geduldig. Wir kommen also der Vision eines „digital companion“ definitiv immer näher.

Führt diese Entwicklung nicht auch zu einer schwierigen gesellschaftlichen Diskussion?

Ja, und diese Diskussion ist absolut notwendig. Wie zahlt der Fortschritt auf unsere Zukunft ein, wie ändert sich unser Werteverständnis? Wie technologieoffen müssen und dürfen wir sein? Wie viel Akzeptanz gibt es für bestimmte negative Fortschrittsfolgen und wie lassen sich gesellschaftliche Disruptionen vermeiden? Wir müssen einen Schritt über die klassische Medizinethik hinausgehen. Digitale Ethik verlagert die Diskussion hin zu der Frage: Ist die Technologie auf ethischen Grundlagen aufgebaut, trifft sie ethisch einwandfreie Entscheidungen und wie können diese überprüft und kontrolliert werden?

Vergleichbare Diskussionen erleben wir bereits rund um das autonome Fahren. Dabei geht es um die Frage der Entscheidungsverantwortung und der Entscheidungsparameter in kritischen Situationen. Auch hier müssen in sozialen Prozessen Entscheidungskalküle gefunden werden, die in der Gesellschaft ethisch tragfähig sind. Erst dann können gewisse Regeln und Algorithmen abgeleitet werden. Dabei bewegen wir uns allerdings auf ziemlich unsicherem Boden. Prinzipiell sind auch hier Daten der Schlüssel. So kann man zum Beispiel durch Beobachtungen, Statistik oder Erfahrung feststellen, dass in bestimmten Situationen bestimmte Handlungen erfolgreich waren oder weniger negative Folgen hatten. Und dann könnte man versuchen, entsprechende Logiken in Algorithmen zu implementieren. Die Schwierigkeit ergibt sich aus der enormen Vielfalt der Szenarien. Wir werden deshalb wohl auch in Zukunft Situationen begegnen, in denen wir uns nicht auf formalisierte Verfahren zurückziehen können.

Im Interview

 dr-thomas-kraft

Dr. Thomas Kraft

thomas.kraft@msg.group

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